Aufraffen?

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S84
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Aufraffen?

Beitrag von S84 »

Hallo, ich habe mich heute neu hier angemeldet und bevor ich meine Frage stelle, erzähle ich am Besten kurz von mir.

Ich bin Studentin (Lehramt), komme aber im Studium im Moment nicht wirklich voran. Bis vor Kurzem habe ich die Schuld daran nur bei mir gesucht (Faulheit u.ä.), aber mein Freund hat mich vor einiger Zeit darauf hingewiesen, dass ich bestimmt an einer Depression leide. Er hat seine Krankenpflegerausbildung in einer Psychatrie gemacht, kennt sich also ein wenig aus. In dem Selbsttest hier auf der Seite habe ich auch außer Appetitlosigkeit alles mit ja beantworten müssen. Ich habe auch schon einen Termin bei einem Psycotherapeuten gemacht, dieser Termin ist allerdings erst am 1.März. Mein momentanes Hauptproblem ist die Antriebslosigkeit: Ich bin dieses Semester kaum in der Uni gewesen, habe auch keinen der Kurse abgeschlossen. Das Studium läuft schon ne ganze Weile nicht mehr gut wegen der Antriebslosigkeit, aber seit Sommer ist es richtig schlimm geworden. Vorher hab ich wenigstens jedes Semester einige Scheine gemacht (wenn es aber um "aufwendigere" Sachen wie Hausarbeiten schreiben ging, hab ich mir immer gesagt, dass ich den Schein ja nicht sofort brauche und noch mal einen anderen Kurs belegen könnte! )

Was mich im Moment extrem belastet ist einfach, dass ich nicht einmal die kleinsten Dinge erledigt bekomme. Meine Wohnung ist ein totaler Saustall (also nicht nur unordentlich, sondern wirklich dreckig). Da ich natürlich weiß, dass sowohl Therapie als auch ADs eine Weile brauchen um anzuschlagen, wollte ich gerne wissen, ob Ihr vielleicht Strategien kennt, wie ich gegen die Antriebslosigkeit ankomme? Ich tue seit Wochen nichts anderes, als mich durch Fernsehen/Internet/Videospiele von meinen Grübeleien und schlechten Gedanken abzulenken. Wenn mein Hund nicht raus müsste, würde ich wahrscheinlich nicht mal das Bett verlassen. Ich würde gern mal wieder aktiv werden, bin auch innerlich total unruhig. Aber wenn ich mir sage "Ich räum jetzt mal auf und putze ein bisschen" dann endet es damit, dass ich einmal durch die Wohnung laufe, mir das Chaos angucke und es mir einfach zu viel ist. Dann lande ich wieder vorm Fernseher. Und das ist jetzt nur ein (heute wieder erlebtes) Beispiel. Es geht mir mit allen Dingen so, die ich eigentlich gerne tun würde, egal ob es Kleinigkeiten oder schwere Sachen sind. Weiß jemand einen Rat, wie ich zumindest ein bisschen aktiver werden kann, auch vor der Therapie? Ich ertrage diesen Zustand einfach nicht mehr. Habe es heute nicht mal geschafft zu duschen und Wäsche zu waschen, fühle mich total eklig!
Clown
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Re: Aufraffen?

Beitrag von Clown »

Hallo Sab,

bist du noch wach?
Wie wäre es, du fingest mit einem simplen Belohnungssystem an?
Jeder kleinste Schritt wird belohnt.
Also, du gehst jetzt duschen, danach kommst du wieder an den PC und erzählst uns, wie du dich dann fühlst.

Was meinst du dazu?

Grüße, Clown

PS: Mir gefällt übrigens gut, wie klar du deine Situation schilderst und dass du auch schon eine konkrete Frage hier hast.
"Realize deeply that the present moment is all you ever have. Make the Now the primary focus of your life."
Eckhart Tolle
ghana
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Re: Aufraffen?

Beitrag von ghana »

Liebe Sab,

ich finde es gut, dass du schon einen Termin beim Psychotherapeuten gemacht hast. Offenbar hast du dich auch schon über Depression informiert. Wenn ich dich richtig verstanden hab, hast du Angst, dass dir die Zeit davonläuft, dass der Termin am 1.3. noch zu weit weg ist und es zwar gute Behandlungsmethoden gibt, aber die alle ein wenig Zeit brauchen.
Vielleicht könntest du kurzfristig einen Termin beim Hausarzt bekommen? Der könnte dich ggf. auch als "Notfall" an einen Psychiater überweisen.

Aus meiner eigenen Erfahrung heraus möchte ich dich bestärken, rasch zu handeln. Die ersten Schritte hast du ja schon gemacht.
Auch ich bin vor zwei Jahren über meiner Zula depressiv geworden - ich hab lange vor mich hingekämpft, erst als gar nichts mehr ging, kam ich auch als Notfall zu einer Psychiaterin. Weise Entscheidung. Ich hab Verlängerung bekommen (ohne dass ich die Diagnose publik machen musste) und konnte meine Zula dann noch erfolgreich zu Ende bringen.

Fürs Aufraffen sind, wie Clown schon schreibt, kleine Schritte wichtig. Mach sie so klein, dass du sie auf alle Fälle schaffen kannst und vergiss die Belohnung nicht. Meist es auch allein das Gefühl, was geschafft zu haben Belohnung!!!

Ich wünsche dir alles Gute,
LG

Stefanie
"Am dunkelsten ist es immer vor der Dämmerung." (Eoin Colfer)
S84
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Re: Aufraffen?

Beitrag von S84 »

Hallo Clown, danke für die schnelle Antwort!

Die Sache mit dem Duschen ist jetzt nicht so gut, da ich in letzter Zeit nicht mal Wäsche waschen geschafft habe, hab ich nur noch einen Satz saubere Klamotten. Den heb ich mir lieber für morgen auf, muss noch zur Frauenärztin wegen Routineuntersuchung und Rezeot für Pille. Da will ich dann wenigsten ins hygienisch einwandfreiem Zustand auftauchen, wäre sonst echt peinlich. Hpffe nur, ich komme rechtzeitig aus dem Bett (vor 13h kann ich mich selten aus den Federn quälen und der Termin ist um halb elf).

Aber die Idee mit dem Belohnngssystem ist schon mal gut. Ich hab nur immer so hohe Ansprüche an mich selbst. Wenn ich denn mal irgendwas auf die Reihe kriege sage ich mir gleich: "Na also, so muss das immer laufen." D.h. statt mich über eine Leistung zu freuen erwarte ich gleich noch mehr von mir. Und wenn es dann nicht klappt, dauert es wieder ewig, bis ich wieder in die Gänge komme, weil ich mich so schlecht fühle! Ein Teufelskreis also: Ich kann meine Erfolge nicht genießen, sondern setzt einfach auf jeden Erfolg eine Erwartung an den nächsten Erfolg. Es ist mir ja auch bewusst, dass das so nicht geht, aber ich kann irgendwie nicht anders. Wenn es mir zwischendurch etwas besser geht, mache ich auch sofort Listen und Pläne, was ich alles erledigen will. Und das schaffe ich dann natürlich nicht alles und dann geht's ab ins nächste Tief!
S84
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Re: Aufraffen?

Beitrag von S84 »

Hallo Stefanie,

Du hast recht, ich habe wirklich das Gefühl, dass mir die Zeit davon läuft. Nächstes Jahr läuft mein BAFöG aus und ich bin noch nicht mal annährend mit dem Studium fertig. In meinem momentanen Zustand fühle ich mich natürlich überhaupt nicht in der Lage, nebenbei auch noch zu jobben, aber ich hoffe mal, bis das Problem aktuell wird, hat die Therapie schon angeschlagen. Was mich zusätzlich belastet ist, dass ich demnächst auch noch meinem Vater beichten muss, dass ich ihm die fleißige Studentin nur vorgespielt habe. Er hat mich immer unterstützt, hat aber selber nicht viel Geld und hofft natürlich, dass ich bald finanziell auf eigenen Beinen stehe. Da ich bis vor kurzem selbst nicht wahr haben wollte, dass ich krank bin, habe ich mir immer eingeredet, ich kriege das schon alles auf die Reihe und ihm habe ich nie gesagt, wie schlecht es um mein Studium steht und dass ich noch weit von einem Abschluss entfernt bin. Ich will ihn nicht enttäuschen, er ist der einzige aus meiner Familie, der sich immer gekümert hat (meine Mutter interessiert nur ihr eigenes Leben, die kann sich nicht mal merken, was ich studiere).
Clown
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Re: Aufraffen?

Beitrag von Clown »

«...aber ich kann irgendwie nicht anders.»

Sab, schau dir mal deinen Satz in dieser Version an:

«...aber ich will nicht anders.»

Ich geh jetzt schlafen....gute Nacht!
Clown
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Eckhart Tolle
flower76
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Re: Aufraffen?

Beitrag von flower76 »

hallo sab,

das problem mit dem aufraffen ist mir nur all zu gut bekannt.sogar heute,nach 3 jahren depression habe ich noch damit zu kämpfen.
aber keine angst,es ist auf keinen fall sooo schlimm wie am anfang meina depression. ich finde auch, du solltest versuchen einen früheren termin bei einem psychiater zu bekommen. wenn du sagst, es handelt sich um einen notfall, schieben sie dich vielleicht ja dazwischen.
laß auf jeden fall auch deine blutwerte checken, vielleicht hast du ja auch eisenmangel, was ja auch sehr müde machen kann.

auf deine eigtl frage hin, kann ich dir jez leider keine besondere strategie nennen, denn ich habs damals "leider" nur mit medis geschafft.
trotzdem hoffe ich, ich konnte dir ein bißchen helfen.

l.g.
flower
ghana
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Re: Aufraffen?

Beitrag von ghana »

Liebe Sab,

wie schnell eine Therapie wirkt, ist bei jedem ganz unterschiedlich. Mir ging es nach einer Woche wieder etwas besser und dann zwei Wochen deutlich besser. Nach den zwei Wochen ging es langsam, aber stetig weiter bergauf. Wie gesagt, nicht bei allen geht es so rasch, aber ich drück dir die Daumen, dass du dazu gehörst.
Du hast bisher "nur" einen Termin bei einem Psychotherapeuten. Psyochotherapie ist sicher wichtig, v. a. um aktiv was an sich zu verändern. Aber das geht nicht von heut auf morgen. Bei mir war es zu Angang ein Antidepressivum, das mich so rasch wieder denkfähig gemacht hat - es hat die Ärztin fast 2 Stunden gekostet, mich zu übberreden "sowas" zu nehmen. Wie ist deine Einstellung gegenüber Antidepressiva?

LG

Stefanie
"Am dunkelsten ist es immer vor der Dämmerung." (Eoin Colfer)
S84
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Re: Aufraffen?

Beitrag von S84 »

«...aber ich kann irgendwie nicht anders.»

Sab, schau dir mal deinen Satz in dieser Version an:

«...aber ich will nicht anders.»


Ja, vielleicht hast Du recht. Werde mir das mal durch den Kopf gehen lassen. Ich gehe jetzt auch schlafen, muss ja wenigstens morgen mal etwas früher aus dem Bett kommen. Na dann, gute Nacht und danke für Eure Antworten. Bin mir ziemlich sicher, dass ich die nächsten Monate noch öfter in diesem Forum sein werde, es tut sehr gut, mit jemandem darüber zu "reden".
flora80
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Re: Aufraffen?

Beitrag von flora80 »

Hallo Sab!

Ich schreibe im Moment sehr wenig hier, aber dein Posting hat mich jetzt dazu veranlasst, weil ich das, was du beschreibst sehr gut aus eigener Erfahrung kenne. ich studiere übrigens auch Lehramt *g*, mache jetzt im März Examen in meinem ersten Fach, aber es war ein ziemlich steiniger Weg bis da hin...
Das Problem, mich nicht aufraffen zu können, habe ich immernoch ziemlich stark, aber es war wichtig, in den Semestern, in denen absolut nichts ging, wenigstens einen Schein zu machen und wenn es der einfachste im ganzen Studium war. Kleinvieh macht auch Mist! Bei mir ist das immer in etwa so gelaufen: In den Semesterferien habe ich tatsächlich gar nichts gemacht, Hausarbeiten ewig vor mir her geschoben, weil ich einfach nicht konnte, fast nur geschlafen, etc. Zu Beginn des neuen Semesters war die Motivation dann relativ hoch, ich habe meinen Stundenplan gebaut mit dem Hintergedanken, dass das ja nun wirklich das Minimum ist, was man in einem Semester schaffen kann. Das ging drei Wochen gut, danach habe ich die erste Hälfte der Kurse geschmissen, ich konnte einfach den Plan nicht einhalten. Dann habe ich in den nächsten Wochen in den verbleibenden Kursen dauernd gefehlt, so dass ich in einigen wegen Anwesenheitspflicht keinen Schein mehr machen konnte. Letztendlich war das Semester dann irgendwann zu Ende, ich war bei vielleicht zwei Kursen bis zum Schluss und die dazugehörenden Hausarbeiten habe ich dann mit dem selben Argument wie du nicht mehr geschrieben.... Soll heißen: Es war erst total stressig, dann kam das schlechte Gewissen, das wurde dann immer größer, was zur FOlge hatte, dass ich noch mehr gelähmt war und am Ende ging wieder gar nichts... Das ist einfach extrem frustrierend und bestätigt auch immer wieder das Gefühl, nichts zu können und nichts zu schaffen. Die letzten drei Semester habe ich mir von Anfang an tatsächlich nur drei Seminare auf den Plan gesetzt. Das ist natürlich für ansprcuhsvolle Menschen wie uns extrem wenig. Aber die drei Kurse habe ich dann immerhin geschafft, was eine Erfolgssteigerung von 300% ergibt... Ich kenne das Gefühl, sich selbst total unter Druck zu setzen sehr gut und ich schaffe es auch immernoch nicht wirklich, davon Abstand zu nehmen. Kleine Erfolge anerkennen... Ja, das klingt so einfach, ist aber sooo schwer. Sich alleine aufzuraffen, wenn man depressiv ist scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein und ist es meistens auch. Was mir geholfen hat war, mir gaaaanz kleine Ziele zu setzen, die dann aber mit einem festen Termin verbunden waren und möglichst auch noch mit einer angenehmen Aktivität. Das kann zum Beispiel sein, ein mal pro Woche eine Verabredung mit einer Freundin zum Kaffeetrinken zu haben. Das heißt: ein mal pro Woche duschen und frische Klamotten anziehen, damit man sich in die Öffentlichkeit wagen kann. Wenn das gut geht, dann können es in der nächsten Woché auch zwei Termine sein. Wenn du bei drei angekommen bist, hast du schon viel erreicht. Dann kannst du zum Beispiel planen, in der nächsten Woche jemanden zu dir nach Hause einzuladen, was bedeutet, dass du für ein Mindestmaß an Ordnung sorgen musst, und wenn's nur die Küche und das Bad sind und der Besuch halt in kein anderes Zimmer geht. Wenn das noch zu viel ist, dann vielleicht EINE Sache, also zum Beispiel: Morgen habe ich 10 Stunden Zeit, um das Klo zu putzen. Wenn du das geschafft hast, dann ist immer hin das schon mal sauber
Ich weiß, wie ekelig man sich fühlt in so einem Zustand. Mittlerweile mache ich es so, dass ich, wenn ich merke, ich habe zum Beispiel seit einer Woche nicht mehr gespült, aber ich schaffe es einfach nicht, eine Freundin frage, ob sie mir hilft. Dann ist die Motivation höher und man muss nicht alles allein schaffen. ich schaffe auch Grundsätzlich mehr, wenn ich mich beobachtet fühle, also wenn zum Beispiel jemand ab und an nachfragt, ob ich meine Hausarbeit geschrieben habe (allerdings nicht nach dem Motto: wie, du hast das immer noch nicht fertig?). Außerdem helfen mir feste Termine, bei denen jemand darauf achtet, dass ich nicht kneife. Zum Beispiel habe ich einen guten Freund, der regelmäßig bei mir vor der Tür steht und mich zum Sport abholt. Wenn ich sage, dass es mir schlecht geht, dann zählt das einfach nicht als "Ausrede", sondern er nimmt das dann schon ernst, redet aber dann so lange auf mich ein, bis ich zumindest einen kleinen Spaziergang mit ihm mache. Es ist total wichtig TROTZDEM aktiv zu sein, wenn auch in sehr kleinem Rahmen und mit Unterstützung. Mein Vorschlag ist: Weihe ein oder zwei enge Freunde ein und bitte sie, auf bestimmte Dinge zu achten, auch wenn du in dem Moment absolut das Gefühl hast, zu sterben, wenn du etwas tun musst... Ich versichere dir, dass du nicht sterben wirst davon! Im Gegenteil, du wirst dich hinterher besser fühlen. Das ist leichter gesagt, als getan, ich weiß. Aber es ist absolut legitim, sich Unterstützung zu holen, wenn man welche braucht.
Ich hoffe, das hat sich jetzt nicht nach klugem Gerede angehört... Aber gib dir Zeit. Bei mir hat es vier Jahre Therapie und vier Monate Klinik gebraucht, bis ich halbwegs Lebensfähig war... Aber dafür mache ich auch jetzt Examen! Es lohnt sich!

Liebe Grüße,

Flora

P.s.: Den Vorschlag mit den Medikamenten finde ich auch nicht so falsch. ich nehme das "Zeug" jetzt seit vier jahren, aber ohne ginge es mir definitiv um einiges schlechter!
Denker
Beiträge: 645
Registriert: 11. Apr 2005, 13:55

Re: Aufraffen?

Beitrag von Denker »

Hallo Sab,
herzlich willkommen in unserer Runde. Der regelmäßige Austausch mit Leidensgenossen hilft sehr, wirst schon sehen! Also schreib es dir von der Seele!
In vielem was du schreibst, habe ich mich sehr wieder erkannt. Perfektionismus, hoher Leistungsanspruch, das Gefühl, das die kleinen Schritte nicht zählen, das Gefühl, sehr schnell den Überblick zu verlieren...
Mein ganz persönlicher Arbeitsstill ist seit ich etwa 12 war (bin heute 46) von Aufschieberitis gekennzeichnet. Ich habe damit Abi gemacht, studiert, eine Diplom- und eine Doktorarbeit erfolgreich abgeschlossen, aber immer mit den uns so wohlbekannten Schwierigkeiten. An Depressionen hab ich damals noch nicht gedacht, sondern hab mich einfach für faul und undiszipliniert gehalten.
Es gibt heute eine Reihe sehr unterschiedlicher Erklärungsversuche zu Depressionen und dementsprechend ist es auch eine bunte Kiste von Dingen, die hilfreich sein können. Ein paar Vorschläge:
Such dir eine Selbsthilfegruppe für Depressive. Es tut gut, sich mit Menschen zu treffen, denen man nicht erklären muss, wie man sich fühlt. Und es ist tatsächlich noch etwas anderes als unsere virtuelle Selbsthilfegruppe hier.
An jeder Uni gibt es so etwas wie psychologische Beratungsstellen. Mach dich mal schlau, was man da für dich tun könnte (z.B. eine Selbsthilfegruppe vermitteln).
Du hast einen Hund. Das ist sehr gut! Meine Katzen sind meine vierbeinigen Antidepressiva! Außerdem braucht ein Hund Bewegung und Bewegung/Sport ist definitiv ziemlich antidepressiv! Ich weiß, es ist schwer, sich aufzuraffen.
Kann es sein, dass deine Depris mit der dunklen Jahreszeit zusammenhängen? Dann würde vermutlich eine Lichttherapie helfen?
Wie sieht deine Ernährung aus? Bekommst du genug Eiweis? Eisenmangel kann, wie schon erwähnt ein Grund für Müdigkeit sein. Bei einer Blutuntersuchung sollte auf jeden Fall die Schilddrüse mit untersucht werden und auch Diabetes sollte abgeklärt werden. An Nahrungsergänzung haben sich die B-Vitamine und Omega-3-Fettsäuren (Lachsölkapseln) manchmal als hilfreich erwiesen.
Du kannst die Zeit bis zum Arztbesuch auch dazu nutzen, dich weiter zu informieren, z.B. im Internet oder durch die vielen meist ganz brauchbaren Bücher, die es zu diesem Thema gibt.
Wenn ich mir meinen Horrorschreibtisch so anschaue und denke, den müsste ich endlich mal aufräumen, verliere ich auch ganz schnell die Lust. Ich habe festgestellt, dass das bei mir auch damit zu tun hat, dass ich einfach nicht weiß, womit ich anfangen soll. Mir kommen tausende Störgedanken in den Sinn, ich frage mich, wo das am besten hin soll und wie ich dieses künftig aufbewahren will, damit ich es auch wieder finde usw... Das geht so lange, bis ich völlig demotiviert bin. Außerdem stelle ich immer wieder fest, dass ich bei solchen Dingen viel zu sehr auf das Ziel fixiert bin und mich zu wenig um den Weg dorthin kümmere. Und das Ziel ist selbstverständlich perfektionistisch und somit eigentlich sowieso unerreichbar. Mit so einer Einstellung kann man sich natürlich auch nicht über einen ersten kleinen Schritt freuen. Was dagegen hilft? Mach dir klar, was der erste kleinste Schritt in deinem Projekt ist, gehe diesen Schritt, sehe deinen Erfolg und belohne dich dafür!
Ist der Psychotherapeut, bei dem du den Termin hast auch Psychiater oder Neurologe, d.h. kann er auch Antidepressiva verschreiben? Mein erstes Antidepressivum habe ich vom Hausarzt verschrieben bekommen. Der könnte in der Zwischenzeit auch schon mal einige Bluttests durchführen. Außerdem kann er dir hochdosiertes Vitamin B spritzen, was sehr viel effektiver als Vit. B in Tablettenform ist (würde ich auf jeden Fall testen)! Falls du Vorbehalte gegen Antidepressiva hast, dann mach dich mal im Internet schlau. Für mich fällt die Kosten/Nutzen-Betrachtung dieser Pillen eindeutig positiv aus. Antidepressiva sind meistens das, was trotz allem noch am schnellsten hilft, allerdings am wenigsten nachhaltig, da sie nicht unbedingt die Ursache deiner Krankheit beseitigen, sondern eher so etwas wie Schmerzmittel für die Seele darstellen. Sie können aber sehr sehr hilfreich sein und deine Lebensqualität wieder deutlich verbessern!
Es ist verständlich, dass du so wenig Zeit wie möglich verlieren willst, aber es bedeutet irgendwo auch, dass du die Depression noch nicht so richtig akzeptieren kannst. Und das ist meistens ein wichtiger Schritt. Sich selbst als krank zu sehen und nicht mehr als faul und undiszipliniert. Und versuche doch einmal, in der Depression einen Sinn zu sehen. Meine Depri hat mir jedenfalls ganz klar gesagt, dass es so nicht weiter geht und das ich jetzt unbedingt was ändern muss und sie hat mir gleichzeitig auch so eine Art Rechtfertigung dafür mitgegeben, ein wenig egoistischer zu sein und mehr auf meine Bedürfnisse zu achten.

Gruß
Denker
adelgunde
Beiträge: 80
Registriert: 10. Jan 2006, 11:48

Re: Aufraffen?

Beitrag von adelgunde »

Liebe Sab und alle anderen,

Dein Thema ist genau das, was mich auch umtreibt. Mir ist es so wie Denker gegangen: Fürs Studium länger gebraucht als gewollt, Magisterarbeit auch auf den letzten Pfiff und nur mit Hilfe von Freunden geschafft und jetzt hänge ich seit Jahren an einer Doktorarbeit. Ich habe auch immer nur das tolle Endergebnis gesehen und wollte mich nicht mit den kleinen Schritten dahin befassen. Oder konnte mich gar nicht erst dazu aufraffen. So wie Denker:

"Ich habe festgestellt, dass das bei mir auch damit zu tun hat, dass ich einfach nicht weiß, womit ich anfangen soll. Mir kommen tausende Störgedanken in den Sinn, ich frage mich, wo das am besten hin soll und wie ich dieses künftig aufbewahren will, damit ich es auch wieder finde usw... Das geht so lange, bis ich völlig demotiviert bin."

Ich habe noch eine andere Strategie als die hier genannten (kleine Schritte, Belohnungen, etc. hat bei mir nicht so richtig funktioniert, weil mein Belohnungssystem im Eimer war) gefunden: mir vorstellen, wie meine Wohnung aussieht, wenn sie aufgeräumt ist und wie ich mich dann so viel wohler in einer aufgeräumten Wohnung fühle. Und die Gedanken wie "wo räume ich das denn jetzt hin" beiseite geschoben und einfach gemacht. Egal, kommt jetzt dahin und fertig. Auf alle Fälle sich selber keine Vorwürfe machen, wenns mal nicht so toll wird. Nicht dauernd auf Dir selber rumhacken und sehen, was man alles NICHT gemacht hat. Sondern sehen, was Du gemacht hast. Du hast geduscht? Und den Hund rausgebracht? Toll. So ungefähr.

LG und viel Kraft
Inga
S84
Beiträge: 10
Registriert: 14. Feb 2006, 18:17

Re: Aufraffen?

Beitrag von S84 »

Hallo Ihr Lieben,

ich danke Euch für die vielen Antworten. Meine wird jetzt erstmal recht kurz ausfallen, da mein Freund in einer Stunde von der Arbeit kommt und wir dann zu seiner Familie fahren. Den Termin beim Frauenarzt habe ich heute nicht geschafft, habe aber wenigstens angerufen und einen neuen für Montag gemacht. Da es mir immer etwas besser geht, wenn wir bei meinen "Schwiegereltern" waren, hoffe ich mal, danach auch hier in der Wohnung etwas zu schaffen. Mein Freund hat Freitag auch noch frei und will mir helfen.

Also, auf einige Sachen, die Ihr geschrieben habt, werde ich mal versuchen, schnell zu antworten.

1.Der Psychater ist auch Neurologe, kann mir also ADs verschreiben. Nachdem ich mich jetzt schon im Netz ein wenig darüber informiert habe, möchte ich sie auch gern nehmen. Ich hoffe, dass mir das Aufraffen etwas leichter fällt, sobald das Zeug anfängt zu wirken.

2. Das mit dem Studium läuft bei mir fast wie bei Dir, flora, nur dass ich am Anfang eines Semesters immer für kurze Zeit hoch motiviert bin. Ich sehe es dann als Neuanfang, sage mir: "Jetzt wird alles anders." Und aus dieser Stimmung heraus packe ich mir den Stundenplan so voll, dass nicht mal ein Gesunder das Pensum schaffen könnte. Und dann bleibt im Laufe des Semesters ein Kurs nach dem anderen auf der Strecke. Leider war es halt dieses Semester am schlimmsten, weil ich diesmal gar keinen Schein gemacht habe, sonst habe ich zumindest in einem meiner Fächer (Englisch, fällt mir leicht, also geringer Lernaufwandt, wenig Aufraffen nötig) welche gemacht. Das zieht sich auch schon seit 10 Jahren so durch mein Leben, in der Schule waren meine Leistungen sehr wechselhaft, weil ich in den guten Phasen gelernt habe wie blöde und in den schlechten gar nix gemacht habe. Leider hatte ich jetzt seit Monaten keine "gute" Phase mehr, aber das ist wohl auch in Ordnung so, sonst wäre ich wahrscheinlich nie auf die Idee gekommen, mich behandeln zu lassen.

3. Wollte eigentlich nur zum Psychater gehen, aber jetzt werde ich auch mal den Hausarzt aufsuchen. Wäre ja toll, wenn es "nur" eine körperliche Ursache hätte, aber bei meiner Lebensgeschichte glaube ich nicht daran. Hatte eine ziemlich üble Kindheit (dazu vielleicht ein anderes Mal mehr) und denke mal, dass dort der Grundstein für die Depri gelegt wurde. Ist ja auch nicht normal, wenn man schon als Kind lieber sterben möcht, als alles andere. Ich glaube, es sind sogar mehr als zehn Jahre, weiß gar nicht mehr, wann ich mich zuletzt "normal" gefühlt habe. Hm, vielleicht könnte mir der Hausarzt ja schon ADs verschreiben, wäre ja schon mal ne gute Grundlage für die Therapie.

4. Selbsthilfegruppe klingt gut, werde mich mal erkundigen, wo ich hier sowas finde. Wenn ich mich dann aufgerafft kriege, dort hinzugehen... *Augenroll*

So, das war's erstmal von mir, bin sicher spätestens am Freitag wieder hier. Nochmal vielen Dank, ich hoffe, wenn es mir besser geht auch dem einen oder anderen "Depri-Neuling" so helfen zu können wie Ihr mir.

Licht und Kraft an alle.

Sab


P.S.: Ach ja, Winterdepressionen schließe ich aus, da es mir ja in "harmloserer" Form schon seit Jahren so geht. Und diese richtig heftige Phase jetzt hat ungefähr im August angefangen. Da war's warm und sonnig, mochte aber nicht in die Sonne gehen, war sogar nur einmal am Strand, obwohl ich am Meer lebe und es liebe, an den Strand zu gehen. Letzten Sommer mochte ich aber nicht.
ghana
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Registriert: 6. Feb 2006, 20:22

Re: Aufraffen?

Beitrag von ghana »

Hallo Sab,

ich finde gut, dass du dich so informierst und schon konkrete Pläne hast: Hausarzt, ADs als Vorbereitung auf eine Therapie usw.

So, wie du schreibst, scheint es wirklich Zeit zu sein, dass du mal nach dir schaust. 10 Jahre ...
Mir scheint, du bringst bereits ne Menge Reflexionsfähigkeit über dich mit - das wird eine wichtige Ressource für dich in der Therapie und darüber hinaus sein.

Neugierige Frage am Rande: Was hast du denn für einen Hund?

LG

Stefanie
"Am dunkelsten ist es immer vor der Dämmerung." (Eoin Colfer)
Lioness
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Re: Aufraffen?

Beitrag von Lioness »

Hallo Sab und ihr anderen LeidensgenossInnen!

es ist schon ungemein tröstlich, wieder mal festzustellen, dass es anderen auch so geht wie mir... Die "Aufschieberitis" ist auch mein dickster Stolperstein, wer hätte es gedacht. Auch mein Studium inkl. Magisterarbeit hat sich so gestaltet wie Denkers, und im Moment sitze ich mit Volldampf an der Ausarbeitung eines Unterrichtsbesuchs (Englisch, 5. Klasse Hauptschule), von dem ich seit Wochen schon weiß, dass er an diesem Tag stattfinden wird..... Habe noch am Wochenende Angstattacken bekommen, sobald ich mich nur an den Schreibtisch setzte, und kaum nahme ich die Unterlagen in die Hand, fing sich in meinem Kopf alles an zu drehen: kein Plan, was ich überhaupt machen sollte. Seit Montag Abend ist mir wenigstens klar, was ich mit den kids erarbeiten will. Gestern habe ich das Problem mit meiner neuen Therapeutin besprochen und auch den Tipp bekommen, das Ganze in überschaubare Häppchen aufzuteilen, mich zu belohnen - und das "Vermeiden", will sagen das Fluchtverhalten, ebenfalls zu strukturieren, also etwa: "Ich halte es jetzt noch 10 Minuten am Schreibtisch aus, dann flüchte ich, tigere durch die Wohnung, und dann versuche ich einen neuen Angang, und wenn der nur 10 Minuten dauert!"

Die Vermeideritis verschwindet mit ADs leider nicht, aber vieles andere wird wirklich besser! ADs brauchen aber einige Wochen, bis sie voll wirken, je früher du sie nimmst, desto besser! Selbsthilfegruppen kann ich auch nur wärmstens empfehlen, es tut einfach gut, nicht viel erklären zuu müssen.

Alles Gute

Lioness
Lioness



Wir brauchen den Blick nach hinten, um unser Leben zu verstehen. Wir brauchen den Blick nach vorne, um unser Leben zu LEBEN!
Blackmail
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Re: Aufraffen?

Beitrag von Blackmail »

Sab schrieb:
> Nächstes Jahr läuft mein BAFöG aus und ich bin noch nicht mal annährend mit dem Studium fertig. In meinem momentanen Zustand fühle ich mich natürlich überhaupt nicht in der Lage, nebenbei auch noch zu jobben, aber ich hoffe mal, bis das Problem aktuell wird, hat die Therapie schon angeschlagen. Was mich zusätzlich belastet ist, dass ich demnächst auch noch meinem Vater beichten muss, dass ich ihm die fleißige Studentin nur vorgespielt habe. Er hat mich immer unterstützt, hat aber selber nicht viel Geld und hofft natürlich, dass ich bald finanziell auf eigenen Beinen stehe.

Na siehst du mal, ein weiterer grund, das mit dem jobben hinzubekommen wäre, dass es doch dann wesentlich einfacher wäre, es deinem vater zu beichten. da du ja dann wirklich selber geld verdienst, sodass wenigstens ein teilziel erreicht ist
wird ihm sicher leichter fallen, es so zu akzeptieren, als wenn du garnix geschafft hättest
Schönen Tag noch!
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